Schachtelsätze elegant auflösen

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Er lauert überall. Schleicht sich mit Vorliebe in wissenschaftliche Arbeiten und Fachartikel ein, genauso wie in Behördenbriefe, Gesetzestexte und E-Mails: der Schachtelsatz. Warum unser Gehirn Schachtelsätze nicht verarbeiten kann, was sie mit der Angst des Autors zu tun haben und wie Sie jeden Schachtelsatz klug zerschlagen, lesen Sie hier.  
Schachtelsaetze aufloesen

Was dem Schreiber wie ein genialer Wurf erscheint, quält den Leser. Er ist verwirrt, irritiert, verärgert. Liest den Satz ein zweites, ein drittes Mal – wenn der Schreiber Glück hat. Oder wenn der Leser dazu verdammt ist.

Klingt hart? Ist auch hart. Denn Schachtelsätze sind unverdauliche Brocken für unser Gehirn.

Gedanken und Informationen werden ineinander verwoben und in einen nicht endend wollenden Satz gepackt. Einschübe und Nebensätze reißen zusammengehörige Satzteile auseinander; der Kerngedanke geht verloren.

Am Ende des Satzes hat der Leser bereits vergessen, was am Anfang stand. Er verliert den roten Faden und überliest wichtige Informationen.

Schachtelsätze verstoßen gegen das Gebot einer klaren, verständlichen Sprache.

Aber warum strotzen gerade akademische Texte dann nur so vor Schachtelsätzen?

Hier kommt die Antwort:

Ursachen für Schachtelsätze

1. Die deutsche Grammatik macht’s möglich

Die deutsche Grammatik fördert die Bildung von Schachtelsätzen, weil sie lange Einschübe zwischen Subjekt und Prädikat erlaubt.

Dadurch wird das Verb ans Ende des Satzes verbannt.

Der Leser erfährt erst nach einer Reise voller Wendungen, Gabelungen und Abzweigen, was denn nun wirklich passiert.

Doch damit nicht genug. Unsere Sprache strotzt vor zusammengesetzten Verben und solchen mit Vorsilbe. Sie werden im Satzbau auseinandergerissen, bilden eine Klammer um Einschübe und erschweren dadurch das Lesen und Verstehen.

 

2. Sie wollen zu viele Informationen auf einmal geben

Was verleitet einen Autor, Schachtelsätze zu formulieren?

Er ist gedankenverloren – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gedanken schießen ihm durch den Kopf. Und genauso, wie sie dahergeflogen kommen, reiht er einen Gedanken an den nächsten.

Er schiebt Nebensätze mitten in die Hauptsachen ein und Nebensätze wiederum in Nebensätze, damit bloß kein Detail verloren geht.

Der Schachtelsatz dient dem Autor als Denkhilfe komplexer Gedanken.

Zwar glaubt der Autor, dass er seinen Gedanken Struktur verliehen hätte – kein Wunder, denn er steckt ja tief in der Materie. Aber Leser stehen ratlos davor und können die Gedankengänge des Schreibenden nicht logisch nachvollziehen.

 

3. Fehlannahme: ein Schachtelsatz beweise Kompetenz

Ein Wissenschaftler fragte mich vor Kurzem: „Wie kann ich mich klar und verständlich ausdrücken, ohne banal zu klingen?“

Hinter dieser Frage steckt die Angst vieler Akademiker – die Angst, dass Fachkollegen und Laien an ihrer Kompetenz zweifeln, wenn sie hochkomplexe Themen einfach und nachvollziehbar erklären.

In früheren Zeiten galt eine Person als gebildet, wenn sie sich kompliziert ausdrückte. Doch heutzutage wird der Bildungsgrad nicht mehr mit einer unverständlichen Satzkonstruktion assoziiert.

Im Gegenteil: Wer sich heute als Akademiker von der Norm abheben und von Lesern und Zuhörern respektiert werden möchte, drückt sich klar aus und kommt auf den Punkt.

Diese These wird durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Hamburger Verständlichkeitsmodells gestützt. Danach ist ein Text verständlich, wenn er folgende Merkmale vereint: Einfachheit, eine innere Ordnung, Prägnanz und Lebendigkeit.

Wir leben in einer Zeit, in der wir mit Informationen geflutet werden.

Wenn Sie mit Ihren Forschungen, Berichten, Fachartikeln zum Leser durchdringen möchten, dann nehmen Sie die Herausforderung an: Heben Sie Ihre Kommunikation auf eine neue Stufe.

Man nehme gewöhnliche Wörter und sage ungewöhnliche Dinge.

Schopenhauer

Verpacken Sie komplexe Inhalte in einen eleganten, klaren Sprachstil. Damit beweisen Sie wahre Meisterschaft und Kompetenz!

 

Schachtelsätze auflösen – die Anleitung

Führen Sie sich das Wesen des Schachtelsatzes nochmals vor Augen:

      • Schachtelsätze sind lange Wortungeheuer.
      • Der Autor kommt nicht auf den Punkt.
      • Informationen sind durch unzählige Nebensätze und Einschübe ineinander verschachtelt.
      • Die Kernaussage ist für den Leser nicht greifbar.
      • Der rote Faden fehlt, weil Argumente nicht chronologisch aufeinander folgen.
      • Subjekt und Prädikat verlieren sich in den Weiten des Satzes.
      • Das Verb steht abgeschlagen am Ende des langen Satzes.

In der Rohfassung Ihres Textes dürfen Schachtelsätze selbstverständlich vorkommen. Bannen Sie ruhig alle Gedanken aufs Blatt, die simultan aus Ihnen heraussprudeln.

Aber in der Endfassung sind Schachtelsätze tabu!

Zerschlagen Sie diese langen Satzkonstruktionen beim Überarbeiten Ihres Textes; formulieren Sie daraus klare, verständliche Sätze..

 

Hier ein Fundstück aus der Projektarbeit eines Kunden:

 

Da sich UNIX basierte Betriebssysteme generell für Serverapplikationen auf dem Markt, vor allem aufgrund ihrer im Vergleich zu Windows Servern erhöhten Sicherheit und Performance, etabliert haben und die Mustermann AG zusätzlich ein besonderes Augenmerk auf die möglichst kostengünstige Implementierung der Service Availability Management Lösung legt, wurde die Entscheidung getroffen, als Betriebssystem Ubuntu einzusetzen.

An diesem Beispiel demonstriere ich Ihnen, wie Sie einen Schachtelsatz auflösen.

So geht’s:

 

Schritt 1: Den Schachtelsatz zerlegen

Die Informationen stichpunktartig niederschreiben

Schlüsseln Sie zunächst alle Informationen auf, die in Ihrem Schachtelsatz stecken. Legen Sie hierfür eine Stichpunktliste an.

      • UNIX basierte Betriebssysteme haben sich für Serverapplikationen auf dem Markt etabliert
      • Sie sind sicherer und bieten eine bessere Performance als Windows Server
      • Die Mustermann AG legt Wert auf eine kostengünstige Lösung
      • Die Mustermann AG will ein Service Availability Management System implementieren
      • Die Mustermann AG hat sich für Ubuntu als Betriebssystem entschieden

Die Kernaussage bestimmen

Nun überlegen Sie, welche Hauptaussage im Schachtelsatz steckt.

Was ist der Kerngedanke?

      • Die Mustermann AG will ein kostengünstiges und sicheres Service Availability Management System implementieren.

Die Informationen chronologisch anordnen

Welche zusätzlichen Informationen braucht der Leser? Streichen Sie alle Informationen, die keinen Mehrwert liefern.

Als Nächstes bringen Sie die Informationen in eine logische Abfolge, beginnend mit der Kernaussage.

      1. Die Mustermann AG will ein kostengünstiges und sicheres Service Availability Management System implementieren
      2. Die Mustermann AG hat sich für Ubuntu als Betriebssystem entschieden
      3. UNIX basierte Betriebssysteme haben sich für Serverapplikationen auf dem Markt etabliert
      4. Sie sind sicherer und bieten eine bessere Performance als Windows Server

Die Vorarbeit ist erledigt. Im nächsten Schritt machen Sie aus Ihrem Schachtelsatz einfache, klare Sätze.

Schritt 2: Den Text umformulieren – die Regeln

#1      Eine Aussage pro Satz

Mithilfe Ihrer Stichwortliste haben Sie herausgefunden, wie viele Informationen im Schachtelsatz stecken.

Geben Sie jeder Aussage nun einen gebührenden Platz: Verpacken Sie jede wichtige Information in einen Hauptsatz, um den Leser nicht zu überfordern.

Ihr Text wäre jedoch monoton und ermüdend, wenn Sie nun Hauptsatz an Hauptsatz reihen. Ergänzende oder erläuternde Informationen dürfen weiterhin in Nebensätzen stehen.

Laut Wolf Schneider – dem Stil-Guru der deutschen Sprache – ist es gestattet, an jeden dritten Hauptsatz einen Nebensatz anzuhängen, ohne die Verständlichkeit des Textes zu unterwandern.

 

#2      Die Kernbotschaft gehört in einen Hauptsatz. Punkt. 

Ein Hauptsatz vermittelt die Botschaft klar und kraftvoll.

Die Kernaussage Ihres Schachtelsatzes ist die wichtigste Information. Sie gehört selbstverständlich in einen Hauptsatz und wird den weiteren Informationen vorangestellt.

Auf diese Weise ordnen Sie Ihre Argumente logisch an, so dass der Leser Ihren Gedankengang nachvollziehen kann.

 

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#3      Nebensätze gehören ans Satzende

Hängen Sie Nebensätze ans Ende des Hauptsatzes. Auch hier lautet das Gebot: maximal eine Information pro Nebensatz.

Vermeiden Sie unbedingt Einschübe mitten im Hauptsatz. Solche Einschübe unterbrechen nicht nur Ihre Gedanken, sondern auch den Gedankenfluss des Lesers.

In seltenen Fällen ist es erlaubt, den Nebensatz voranzustellen.

 

#4      Maximal 15 – 20 Wörter pro Satz

Die deutsche Presse–Agentur empfiehlt Journalisten, maximal 20 Wörter pro Satz zu schreiben.

Die Bild-Zeitung geht sogar noch einen Schritt weiter: Hier beträgt die durchschnittliche Anzahl sogar nur 12 Wörter pro Satz. Also klare, einfache Sätze. Wissen Bildzeitungsleser deshalb mehr – wie uns der Werbeslogan der BILD weismachen will?

Sie ahnen schon, dass diese Zahlen nicht willkürlich ausgewählt wurden.

Die Vorgaben beruhen auf wissenschaftlichen Fakten: Mehr Informationen kann unser Kurzzeitgedächtnis nicht ohne Verlust verarbeiten (mehr hierzu in Regel #5).

 

Deshalb gilt auch:

 

#5      Maximal 6 Wörter oder 12 Silben zwischen zusammengehörigen Satzteilen

Welche Satzteile gehören zusammen?

      • Subjekt und Prädikat 
      • Artikel und Substantiv 
      • zusammengesetzte Verben

Sie verstoßen zwar nicht gegen die deutsche Grammatik, wenn Sie diese Satzteile weit auseinanderreißen, aber gewiss gegen die Arbeitsweise unseres Gehirns.

 

Neurowissenschaftliche Studien belegen:

Das menschliche Gehirn verarbeitet Informationen im 3-Sekunden-Takt. Wir können einen Sachverhalt nur für circa 3 Sekunden festhalten und zu einer Einheit bündeln.

Danach richten wir unsere bewusste Wahrnehmung bereits auf den nächsten 3-Sekunden-Block. Diese Blöcke werden auch als Erlebniseinheiten bezeichnet.

Mit anderen Worten: Unsere Aufmerksamkeitsspanne beträgt 3 Sekunden.

Erhalten wir in diesem 3-Sekunden-Block eine zusammenhängende Information, verknüpft das Gehirn diese durch Kontinuität mit der nächsten Information – und stellt so Logik her.

Ergibt hingegen die Information innerhalb des 3-Sekunden-Taktes keinen verständlichen Sinn, kann der Leser die Information nicht logisch verarbeiten.

 

Hier liegt – neurowissenschaftlich fundiert – das Dilemma der Schachtelsätze begraben.

Deshalb sollten Sie als kluger Autor auf Schachtelsätze verzichten.

Damit ein Leser versteht, was Sie sagen wollen

      • stellen Sie Subjekt und Prädikat nah beieinander,
      • verdichten Sie zusammengesetzte Verben und Verbteile im Satz,
      • machen Sie aus Einschüben zwischen Artikel und Substantiv eine eigenständige Information.

#6:     Wählen Sie aktive Verben

Subjekt und Prädikat sind das Salz in der Suppe eines Satzes: Wer handelt hier? Was passiert hier?

Fehlt dem Satz ein Subjekt, gleitet er sofort in Passivität ab. Der Satz verliert an Kraft – genau wie eine Person, die nur reagiert statt agiert.

Entscheiden Sie deshalb Satz für Satz: Wer handelt hier – und wie? In den meisten Fällen lassen sich passive Sätze in aktive verwandeln.

Verwenden Sie ein starkes Verb; das verleiht ihrem Satz Würze.

 

#7:      Mit Satzzeichen verknüpfen

Ja, es gibt sie noch. Auch wenn sie in Vergessenheit geraten sind: Doppelpunkt, Bindestrich, Semikolon.

Satzzeichen strukturieren und konturieren jeden Text – wie ein Highlighter das Gesicht: ein Tupfer hier, ein Glanzlicht dort.

Mit dem Doppelpunkt wird eine Aussage bekräftigt und hervorgehoben.

Der Bindestrich zeigt an, dass der Gedanke noch nicht beendet ist und einer Ergänzung bedarf.

Das Semikolon vereint zwei gleichwertige Informationen.

 


Kehren wir nochmals zum Beispielsatz des Kunden zurück und betrachten die Regeln, gegen die er verstößt:

      • Er ist 53 Wörter lang (#4/#1).
      • Er beginnt mit einem Nebensatz (#3).
      • Die Kernaussage befindet sich weit hinten im Schachtelsatz (#2).
      • Einschub zwischen zusammengehörigen Verbteilen von 22 Wörtern: sich … etablieren (#5).
      • Einschub zwischen Artikel und Substantiv von 24 Silben: die … Lösung (#5).
      • Passivkonstruktion: wurde … getroffen (#6)

So klingt die verständliche Variante, nachdem der Schachtelsatz aufgelöst wurde:

Die Mustermann AG will ein Service Availability Management System implementieren, wobei sie Wert auf eine kostengünstige und sichere Lösung legt. Aus diesem Grund fiel die Wahl der Mustermann AG auf Ubuntu als Betriebssystem. UNIX basierte Betriebssysteme wie Ubuntu haben sich für Serverapplikationen auf dem Markt etabliert, weil sie sicherer als Windows Server sind und zudem eine bessere Performance bieten.

Fazit

Schachtelsätze verstoßen gegen die Regeln der Verständlichkeit, weil unser Gehirn eingehende Informationen bündelt – und zwar zu Erlebniseinheiten von circa 3 Sekunden Dauer. Diese Informationen müssen Sinn ergeben, damit das Gehirn sie verarbeiten und mit den nachfolgenden 3-Sekunden-Blöcken logisch verknüpfen kann.

In der Rohfassung des Textes sind Schachtelsätze als Denkhilfe des Autors erlaubt; in der Endfassung sind sie tabu!

So lösen Sie Schachtelsätze auf, wenn Sie Ihren Text überarbeiten:

Listen Sie alle Informationen auf, die im Schachtelsatz stecken. Bestimmen Sie die Kernaussage. Streichen Sie überflüssige Informationen und ordnen Sie die Informationen chronologisch.

Formulieren Sie den Schachtelsatz anschließend um, in dem Sie die oben beschriebenen Stilregeln für verständliche Texte beherzigen.

Auf diese Weise verwandeln Sie komplexe und komplizierte Inhalte in klare Einheiten, die der Leser nachvollziehen kann.

 

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Dr. Claudia Neumann Schreibcoaching und Schreibkurse

Die Autorin

Dr. Claudia Neumann ist Ärztin für tiefenpsychologische Psychotherapie. Sie gibt Workshops für mehr Selbstbewusstsein und Selbstliebe und hält Vorträge für gelingende Mitarbeiterbindung – gestützt auf Erkenntnisse aus der Psychologie, der Verhaltensforschung und den Neurowissenschaften. Darüber hinaus ist sie ausgebildete Schreibberaterin für wissenschaftliches und literarisches Schreiben und beschäftigt sich mit KI-Workflows. Sie liebt es, Dinge in ihrer Tiefe zu durchdringen, auf den Punkt zu bringen und komplexe Themen einfach und verständlich zu erklären. Sie lebt in Berlin und schreibt in ihrer Freizeit Drehbücher.

 

 

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